Buch: Simon Lelic – Das Kind, das tötet


Es ist ein brutales Verbrechen: Ein Zwölfjähriger tötet ein jüngeres Mädchen und schweigt. Alle Versuche der Eltern und Ermittler, ihn zum Reden zu bringen, was wirklich passiert ist, scheitern. Bis der junge, ambitionierte Anwalt Leo Curtice auftaucht und einen Zugang zu dem Jugendlichen findet. Während sich der Anwalt zu Beginn noch sehr über den Fall und das damit hoffentlich verbundene Prestige freut, bitten ihn Frau, Tochter und die Eltern seines Mandanten, das Mandat abzugeben. Er erhält Drohbriefe und ihm schlägt plötzlich eine nie geahnte Welle des Hasses entgegen. Denn: Wie kann man ein solches Monstrum verteidigen?

Simon Lelic hat sich mich Ein toter Lehrer einen Namen gemacht und für seinen Roman zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Der Autor beschreibt nicht einfach einen kleinen Kriminalfall, der irgendwie gelöst wird, er hat sich mehr auf die Reaktion der Gesellschaft konzentriert. Dabei skizziert er gekonnt Ablehnung und Hass von normalen, „braven“ Bürgern, die sich für unschuldig und über alles erhaben halten. Denn schließlich haben sie ja keine derartige Verfehlung auf ihrem Konto zu verbuchen. Da werden nette Nachbarn zu Tyrannen und liebevolle Mütter zu Furien, die sogar Kleinkinder auf dem Arm halten und alles andere als Vorbilder sind, wenn sie mit Lebensmitteln oder Kraftausdrücken um sich werfen. Lelic macht aber etwas deutlich, was oftmals vergessen wird: Es gilt die Unschuldsvermutung, bis ein rechtskräftiges Urteil gesprochen wurde.

Das Kind, das tötet schockiert mit der gleichen Voreingenommenheit der Bevölkerung, die ein klares Urteil gefällt hat, ohne Hintergründe zu kennen. Dabei wird jeder quasi zum Mittäter gemacht, der mit dem Jungen zu tun hat. Dass jeder einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger hat und diese Jobs nicht unbedingt immer sonderlich beliebt sind bei Rechtsanwälten, diese aber annehmen müssen, scheint vielen gar nicht klar zu sein. Es wird ein Horrortrip, der das Leben und die Familie des Anwalts zerstört, der doch nur eines will: Seinen Mandanten verteidigen und nicht das Leben eines zwölfjährigen Kindes bereits jetzt zerstören. Doch alles kommt anders und eigentlich könnte man sich als Leser fragen, wann es denn nun endlich mit dem Verbrechen oder der Verhandlung oder eben der eigentlichen Geschichte losgeht – dabei befindet man sich bereits mittendrin. Ein bisschen schade sind nur die Zeitsprünge, die irgendwann das Ende vorwegnehmen.

Lelic schreibt wahre Horrorromane, deren Monster die Menschen selbst sind. Dabei zeigt er beide Seiten auf, eine für und eine gegen den Angeklagten. Vielleicht ist nicht jeder Täter gleichzeitig auch ein Opfer, aber es gibt eine Geschichte hinter allem. Es gibt den Weg, der zu den Ereignissen führte und eben diesen Weg gilt es, zu beachten.

Ein Meisterwerk, das man nicht mehr aus der Hand legen kann und das einen noch lange nach der letzten Seite verfolgt. Am 3. August 2015 erscheint das dritte Buch des Erfolgsautors: Die Einrichtung.

 

5/5

Simon Lelic – Das Kind, das tötet
Droemer, 2013
352 Seiten
Hardcover: 19,99 €
Amazon

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