Peter „Pe“ Schorowsky. Wer ihn nicht kennt: Drummer der Böhsen Onkelz. Mehr Vorstellung braucht es nicht. Dieser hat in der Zeit zwischen den Onkelz und der Reunion ein Album produziert, das mir jetzt in den Player gefallen ist, fast fünf Jahre nach der Veröffentlichung. Vorweg sei zu sagen: Pe ist Drummer bei den Böhsen Onkelz. Ja, er hat einen eigenen Musikgeschmack, der über diese Band hinausgeht, aber er ist eben ein Onkel – und das ist auch gut so.
Warum ich das so betone? Nun, weil man das hier und da doch sehr deutlich hören kann. Manche Passagen erinnern stark an Gonzos Riffs oder des Weidners Bassgerotze. Schlimm ist das nicht, aber man muss aufpassen, dass man Pe selbst auch gerecht wird und ihn nicht immer nur als einen Teil von BO betrachtet. Das hier ist ein Soloprojekt, an dem die Jungs keine Beteiligung haben.
Beginnen wir mit „Nur noch’n Tag“, lassen die erste Takte auf uns wirken und schließen die Augen. Dann haben wir eine perfekte Hommage an Mr. Lemmy Kilmister im Ohr. „Overkill“ könnte hier das Vorbild gewesen sein. Die Melodie mit dem Bass gezupft, ein Traum. Können wir diesen Song einmal ohne alles andere hören, nur die Basslinie? Bassist ist übrigens kein Geringerer als Tobias Exxel, bekannt von Squealer, Edguy oder Unisonic. Und doch lässt sich bald darauf auch ein gewisser Onkelz-Touch nicht ganz verleugnen. „Farben deines Ichs“ ist ähnlich, zielt aber mehr in die gute alte Punkzeit, fliegt musikalisch ein bisschen, trotz einer netten rockigen Note. Hier gibt es im letzten Drittel wieder eine erschlagende Basslinie und ein gutes Gitarrenriff, das Chris Fuetarra zum Besten gibt.
Wäre ich böse, würde ich in jedem Song etwas finden, das mich an andere Musikgruppen erinnert. Das muss aber auch gar nichts Schlechtes sein. Wiedererkennungseffekte schaden manchmal gar nicht. „Alte Welt“ zieht gut mit, man erwischt sich dabei, wie man den Takt mitwippt.
„Nachschlag“ ist für mich eine tolle Punknummer, schnell, flippig und natürlich mit einem Text, der einen schmunzeln lässt und gegen die Spießigkeit angeht. Hab ich schon erwähnt, dass Pe gar nicht mal selbst auf das Drumset drischt? Das macht Peter Zettl, der schon für Der W auf der Schneller, höher, Weidner die Trommeln drosch oder mit Besidos unterwegs war.
„Schweinekarre“ ist ein Liebeslied, an ein Auto, sowas verstehen viele Frauen nicht, aber die Männer werden dasitzen, mitsingen und an ihre Karre denken, die Geld frisst, lärmend durch die Gassen stinkt und die sie doch über alles lieben. Manche mögen Parallelen zum Onkelz-Song „Sie hat nen Motor“ ziehen, auch wenn es da um ein anderes Vehikel geht.
Vom verlassenen Glück, vom Verlieren und vom Arsch-hochkriegen handelt „Kein Blitz“. Auch hier haben wir einen Song, den man als Punk einfach mal springend im Club feiert – während man den Refrain laut mitgröhlt.
Lovesongs haben bei Punks gerne mal eine etwas andere Sprache, nicht dieses romantische Rosarote, sondern gerne mal mitten in die Fresse rein. Harte Worte, klar, man blitzt ab, ein Punk kennt solche Enttäuschungen. Die Punks von früher kannten sie, heute ist die Welt zu trivial geworden dafür. „Splitter“ ist für mich aber so ein Song – vielleicht muss man Pe zugestehen, dass er kein 20-jähriger Punk mehr ist, sondern eben schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, daher kann er die Texte anders formulieren und wirken lassen.
Der Mitsingteil: „Nana, nana, na na…“ Mit dem nächsten Lied geht Pe in die Vollen. Nicht musikalisch, denn die Melodie ist leicht, geht schnell ins Ohr und scheint wenig anspruchsvoll – wobei gerade das auch wieder eine Kunst ist, leicht zu spielen, nicht verschnörkelt und grotesk auf das Anderssein abzielend. „Schrottplatz deiner Seele“ hat philosophische Elemente – und ja, die werden in vielen Songs drinnen sein, schließlich interessiert sich Pe ziemlich dafür. Aber mit der Philosophie ist das so eine Sache, da muss jeder für sich suchen.
Das wird aber auch in „Geist“ sehr deutlich. Mir drängt sich ein Hinweis zu Hermann Hesse auf, etwa Demian, Stichwort: „Der Vogel kämpft sich aus dem Ei, das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören.“; oder auch Narziß und Goldmund, hier vor allem zum Thema Mutter. Darüber könnte man jetzt stundenlang diskutieren und auf die Karmalehre eingehen, vielleicht ein bisschen auf das I Ging oder ganz vermessen noch mal den guten, alten Platon bemühen. Jedoch würde das definitiv zu weit führen – und zeigt sofort deutlich auf: Man kann auch sehr viel in so einen Song hineininterpretieren, das da vielleicht gar nicht steht. Musikalisch gibt es zwischendurch instrumentale Verschnaufpausen, in denen man das Gehörte ein wenig wirken lassen kann.
Noch mal eines dieser Punkliebeslieder: „Viel zu schön“ – naja, er kriegt sie halt nicht, weil die Schönste nur Augen für das Oberflächliche hat.
„Opfer“ beginnt mit gesprochenem Text, was sehr gut passt. Ein Text, der zum Nachdenken anregt und die Musik stark in den Hintergrund drängt.
„Nordpol“ bildet den Abschluss, wieder mit erschlagenden Lyrics von Halluzinationen und erdachten Traumwolken.
Was man vielleicht weniger vermutet hätte, hätte man überhaupt mal den Gedanken daran verschwendet: Pe kann singen. Er hat eine schöne Klangfarbe und wirkt recht besonnen auf dem Album. Dabei schafft er es, die Gefühle und Gedanken, die er besingt, deutlich auszudrücken. Vielleicht tue ich ihm Unrecht, aber für mich ist die Scheibe ein gelungene Punkplatte, einige Jahre zu spät, um wirklich ein großer Hit zu werden, weil die „Szene“ eine andere ist und man auf diese Art von Musik nur noch im kleinen Kreis Wert legt. Mein Highlight bleibt der erste Track „Nur noch’n Tag“ wegen der Basslinie.
5/5
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Pe Schorowsky – Dreck und Seelenbrokat
Sinfin-Rox, 2012
CD: 16,99 €
Tracklisting:
Nur noch’n Tag
Farben deines Ichs
Alte Welt
Nachschlag
Schweinekarre
Kein Blitz
Splitter
Schrottplatz deiner Seele
Geist
Viel zu schön
Opfer
Nordpol
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