Live: Rammstein – 20.05.2022 – Red Bull Arena Leipzig


Das Warten hat ein Ende! Endlich entern Rammstein die Megabühnen in den Stadien Europas – und später geht es über den großen Teich. War bis zuletzt die Sorge im Hinterkopf, dass die Tour doch wieder verschoben wird, waren wir umso erfreuter, als der 20. Mai endlich da war und wir in Leipzig vor dem Eingang der Red Bull Arena standen. Da wir München gewohnt sind, waren die Organisation und die Freundlichkeit für uns neu. Extra Trambahnen wurden eingesetzt, nach dem Konzert standen Ordner an den Bahnsteigen bereit und es ging ohne Geschrei und Streit vonstatten. Nicht einmal die Fans zogen grölend durch die Straßen, sondern liefen gesittet nach Hause. Kam man in eine Tram nicht mehr rein wegen Überfüllung, wartete man geduldig auf die nächste. Das Publikum war komplett anders als das Münchner. Die Leute waren nett, freundlich, offen, als würde man sich kennen, wurde man versehentlich angerempelt, was in der Arena immer wieder vorkommen kann, entschuldigte man sich, man bekam nicht literweise Bier über den Kopf gekippt und egal welche Bands auf den Shirts und Kutten standen, es wurde respektiert. Man sang zusammen, man feierte Rammstein, man kam schnell ins Gespräch. Mit der 60-Jährigen Mutter, die mit ihrem Sohn vor Ort war und schon einige Bands mit ihm zusammen gefeiert hatte. Ob der Krach sie nicht störe? „Ich hab die DDR überlebt, da überlebe ich das auch!“ Blieb nur noch die bange Frage, ob das Wetter auch mitspielen würde, aber scherzhaft verbreitete sich die Meinung im Publikum, dass die Feuershow so gigantisch würde, dass der Regen bereits in der Luft verdunste.

Die Red Bull Arena, in der normalerweise RB Leipzig seine Bundesligaheimspiele bestreitet, macht einen guten Eindruck und schnell ist klar: Wir wollen hierher zurück, gerne mal zu einem Spiel RB Leipzig gegen den FC Bayern München – oder auch zu einem weiteren Konzert. Die Sitzplätze sind nur zur Hälfte gefüllt, als auf einer seitlich aufgebauten Bühne inmitten des Publikums das Duo Jatekok loslegte. Die zwei Pianistinnen spielen ihre Versionen von Rammsteinsongs und Klassik. Im Vorfeld war über die Bekanntgabe des erneuten Supports gemurrt worden, sicherlich hatten sich einige Fans etwas anderes gewünscht. Aber seien wir mal ehrlich: Wer kann schon Vorgruppe von Rammstein sein? Braucht man da Krach als Einstimmung? Für manche kleine Acts wäre das ein Karrieresprung, keine Frage, aber dieser Kontrast zwischen dem Duo Jatekok und Rammstein zeichnet die Band eben auch aus und ist durch die neu interpretierten Songs ein guter Einstieg. Dennoch wird man ungeduldig und hofft nach 30 Minuten, dass es endlich mit dem Hauptact losgeht. Applaus, Jubel, nichts, es geht weiter am Piano. Nach 45 Minuten ist es vorbei, von Rammstein immer noch keine Spur. Die Sitzplätze sind mittlerweile genauso voll wie die Arena, der Himmel ist noch hell, man wartet sehnsüchtig auf das Feuer, die tiefe Stimme von Till Lindemann, die Show, das Kunstsperma, die Lichteffekte …

Passend zu Rammstein erklingen klassische Töne in der Arena. Georg Friedrich Haendels „Feuerwerksmusik“ bildet einen wunderbaren Einstieg, ehe es mit der „Armee der Tristen“ abgeht und viele ihre Begeisterung frei herausschreien. Zwei Jahre warten für diese ersten Töne – und dass man gleich den neuen Longplayer präsentiert bekommt, ist ein Bonus. Rammstein fordert „Komm mit“ und die Anwesenden brüllen die Wiederholung der Bühne entgegen. Auf in einen tollen Abend! Mit „Zick Zack“ geht es weiter zur zweiten Singleauskopplung aus dem aktuellen Album. Das Publikum ist absolut textsicher und feiert lautstark mit. Einmal gegen den Schönheitswahn – Bodypositivity auf ganz neuer Ebene. Dann geht es 21 Jahre zurück zum Mutter-Album. „Links 2, 3 ,4“, ein Kracher, der auf keinem Konzert fehlen darf, stampfen, tanzen, marschieren, singen, wie es sein muss. Noch etwas weiter zurück geht es mit „Sehnsucht“, auch einer der Songs, die auf keinem Konzert fehlen dürfen. Das Stadion kocht, die Stimmung ist super. Man bekommt, worauf man jahrelang gewartet hat. „Zeig dich“ ist wie ein Auftakt zu „Mein Herz brennt“ – und diesen Song muss man einmal live erlebt haben, um seine Energie zu spüren, die Fans, die mitsingen und sich im Takt bewgen, das Stadion in rotes Licht getaucht, es ist eine ganz besondere Atmosphäre. Ob Lindemann hier wirklich die erste Strophe umgeschmissen hat, bleibt bis zum Ende eine wilde Spekulation im Publikum, denn einen Nachteil hat die Red Bull Arena durch ihre halbüberdachte Bauweise: Der Schall fängt sich und wird zurück geschmissen, wodurch man relativ wenig versteht und manchmal ein bisschen Soundbrei bekommt, keine klaren Töne, kein reiner Klang – das würde bei vielem stören, bei Rammstein geht’s. „Puppe“ mit obligatorischem Kinderwagen folgt, diese bedrohliche Stimmung, dieser Horrorstreifen, der inszeniert wird, eine fantastische Show, auf den beiden Screens neben der Bühne gibt es Nahaufnahmen vom Horrorbaby und von Lindemanns ausdrucksstarker Mimik. War nie mein Lieblingssong und das wird wohl auch so bleiben. Aber die meisten feiern doch mit. Der Blick in den Himmel sagt allerdings, dass auch Petrus nicht sonderlich angetan ist. In kurzen Spielpausen hört man Donnergrollen, Blitze zucken über den Himmel, eine schwarze Wolkenfront schiebt sich langsam über das Stadion. Nun ja, man ist auf Regen vorbereitet, das ist uns allen egal. Außerdem fordern wir nun lautstark „Heirate mich“ und während noch Feuerstöße von der Bühne aufsteigen, beginnen wir alle, unsere Regenponchos überzustreifen. Da kommen nicht nur ein paar Tropfen, da kommt ein Sturzbach vom Himmel.

Stille, die Stadionlichter gehen an, eine unverständliche Durchsage (Leipzig, da habt ihr dringenden Verbesserungsbedarf!) räumt den Innenraum, wir müssen alle unters Dach. Schnell verteilen sich die Fans im Trockenen, einige ganz Harte aus den ersten Reihen harren aus. Aber auch wir, die wir ziemlich weit hinten standen und relativ schnell unter dem Dach waren, sind tropfnass. Wie geht es weiter? Wird es das Ende sein? Abbruch nach einer Stunde? Man wird sehen. Erstmal werden die Zeit genutzt und die Getränke- und Fressstände gestürmt, die haben dann auch noch einen Totalausfall der Technik, keine Kasse funktioniert mehr. Aber wenn wir schon in einer Fußballarena sind, können wir auch mal singen und so schallt voller Inbrunst das altbekannte „Allee“-Lied durch die Katakomben und später suchen wir Helga (who the f*** ist eigentlich Helga?) – die wir nicht finden, aber dafür Franz. Nur eines ist auch bald klar: Wenn wirklich alles abgebrochen wird, dann war es bereits diese eine Stunde Rammstein schon komplett wert, dass man zwei Jahre drauf gewartet hat!

Nach fast 30 Minuten aber die erlösende Nachricht, es geht weiter. Wer die Setlist von Prag hatte, stellte enttäuscht oder auch entsetzt fest, dass man den Titeltrack „Zeit“ übergangen hatte. Das können die doch nicht machen! Andererseits ist auch unbekannt, wie lange die Band noch spielen darf. Wir nehmen, was wir kriegen, erst den „Deutschland“-Remix von Richard Z. Kruspe, sehr elektronisch, gut tanzbar, aber so richtig genießen kann man es nicht. Streicht doch den und nicht „Zeit“! Schließlich singen wir aber gemeinsam die krachende Originalversion von „Deutschland“, dieses Hassliebeslied an unser geschichtsgebeuteltes Land, und die gute Laune kehrt allmählich zurück. Außerdem muss man sich trocken tanzen und ein bisschen mehr Feuer braucht es auch noch zum Wärmen. „Radio“, „Mein Teil“, „Du hast“ – man merkt schon, dass sich etwas verändert hat, als der Regen kam. Endlich kommt „Sonne“ und das Stadion brennt lichterloh. Dantes Inferno pyrotechnisch umgesetzt – Rammstein as usual and as its best.

Textlich merkt man eine Unsicherheit, irgendjemand hat den Einstieg verpasst und erst beim Refrain wird einstimmig mitgezählt. Natürlich hat man „Zeit“ nicht einfach gestrichen, nur umgestellt. Der Titeltrack des aktuellen Albums folgt und in vielerlei Hinsicht möchte man, dass die Zeit stehenbleibt. Pause, Ungeduld, was macht ihr denn? Bitte, spielt doch weiter! Da man unsicher ist, ob Rammstein das ganze Set wie geplant spielen kann, stören längere Pausen und lassen ein bisschen Panik und Unmut aufkommen. Aber der Weg zur B-Stage ist eben lang und die Herren sind keine 20 mehr und joggen nicht eben mal rüber. Mit dem Duo Jatekok zelebrieren alle den „Engel“. Ruhig, nachdenklich, das Stadion liegt fast im Dunkeln, dafür strahlen abertausende Handytaschenlampen. Das ist schon ein Gänsehautmoment. Rammstein werden anschließen begleitet von leisen Klavierklängen in Schlauchbooten über den Köpfen der Menge zurück zur Hauptbühne getragen. „Ausländer“, „Du riechst so gut“, „Pussy“ – mit Riesenmetallpenis und Kunstsperma, was sonst? Darauf warten wir und Lindemann gefällt’s. Wir kriegen restlos alles, als hätte es die Unterbrechung nie gegeben – und wir wollen noch ein kleines bisschen mehr, noch eine Zugabe. Auch die bekommen wir. Klar, immerhin kann es einfach kein Konzert ohne „Rammstein“ und „Ich will“ geben. Das Stadion tobt, Lichtshow, Feuershow, bevor es mit „Adieu“ wirklich vorbei ist, kriegen wir noch mal alles zu sehen.

Am Ende geht es musikalisch leise untermalt von der Pianoversion von „Sonne“ und dem „Haifisch“ als Remix gesittet nach Hause – und ja, das muss erwähnt werden, ich bin noch nie so leise, unkompliziert und ohne mich mehrfach fast zu prügeln aus einer Halle oder einem Stadion nach einem Konzert rausgekommen. Das Publikum ist anders – und davon kann sich München eine fette Scheibe abschneiden!

Rammstein haben sich wieder mal bewiesen. Auch wenn man gerade bei diesem Konzert deutlich die Entwicklung der Band gesehen hat. Durch die Jahrzehnte und die Alben hinweg, kann man eine neue, eine andere Ernsthaftigkeit feststellen. Bereits bei Songs wie „Radio“, „Deutschland“ oder „Ausländer“ schaute die Band der Gesellschaft schon ganz anders auf die Finger, jetzt ist der Spiegel noch schonungsloser, die Kritik noch offensichtlicher geworden – und man befasst sich mit dem Abschied. Hoffen wir, dass es nicht, wie gemunkelt wird, der Abschied von Rammstein ist.

Setlist:
01 – Armee der Tristen
02 – Zick Zack
03 – Links 2-3-4
04 – Sehnsucht
05 – Zeig dich
06 – Mein Herz brennt
07 – Puppe
08 – Heirate mich
[Unterbrechung]
09 – Deutschland (RMX by Richard Z. Kruspe)
10 – Deutschland
11 – Radio
12 – Mein Teil
13 – Du hast
14 – Sonne
15 – Zeit
16 – Engel (mit Duo Jatekok)
17 – Ausländer
18 – Du riechst so gut
19 – Pussy
[Zugaben]
20 – Rammstein
21 – Ich will
22 – Adieu

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