„Was macht ihr eigentlich, wenn ihr einmal älter seid?“
Die Auflösung dieser wohlbekannten Frage erfolgt bei der zweiten Band. Birth Control, Guru Guru, Kraan, Epitaph und Jane spielen. Und nein – wir schreiben nicht das Jahr 1972.
Nach Covid-bedingter Verschiebung gab sich am 23.09.2022 die alte Garde der Krautrockszene in der Paderhalle die Ehre. Die Halle war mit über 1.000 Besuchern fast ausverkauft. Das Besondere an der Location war, dass es hier sonst keine Stehplatz-Veranstaltungen gibt und extra für diese Show die Sitzreihen abmontiert wurden. Kraut statt Kabarett. Nach einem kurzen und sympathischen Vorwort des Initiators und der Darstellung der Spielreihenfolge ist keine Zeit zu verlieren.

Den Start gaben Birth Control. Pünktlich um 18 Uhr ging die Show los. Birth Control ist die einzige Band des Abends, die ohne Teile der Originalbesetzung auftreten. Die beiden alten Hasen des Ensembles stellen Manni von Bohr an der Schießbude, und Sänger Peter Föller dar, die beide schon in den 70ern aktive Teile der Band waren. Die Jungs aus Berlin bieten dem Publikum ein abwechslungsreiches Set aus jeweils alten Songs aus den 70ern und Liedern von den neuen Platten. Die letzte Album erschien dieses Jahr. Von BC kennt man ehrlichen harten Krautrock und eben dieser wird einem auch serviert. Martin Ettrichs Gitarre und Sascha Kühns Keys hauen sich gegenseitig Soli um die Ohren. Die Drums sind ohnehin fett und dazu gibt es trockene Bassläufe von Hannes Vesper. Schlagzeuger Manni von Bohr vergisst sein Drumsolo in einem der neuen Songs und bringt dadurch den Rest der Band und das Publikum zum Lachen. Auf die Frage, wer die neue Platte denn überhaupt kenne, meldete sich witzigerweise keiner. Das war sinnbildlich für die Stimmung sowohl auf der Bühne, als auch in der Crowd. Lockere Spielfreude trifft auf gut gelaunte Krautfans. Mit dem letzten Song ihres Sets „Gamma Ray“ vom 1972er Hoodoo Man-Album haben sie natürlich einen Hammer ausgepackt. Die Fans toben und alle geben noch einmal richtig Gas. Föller gelingt es bestens, die Energie des 50 Jahre alten Originals rüberzubringen. Ein würdiger Abschluss für einen ordentlichen ersten Act. Gerade die alten Songs und insbesondere „Gamma Ray“ kommen super bei dem Publikum an. Den neuen Songs merkt man an, dass sie teilweise nicht die Tiefe und Intensität der alten 70er Jahre Kracher haben, was aber dem Zeitgeist geschuldet ist. Zum Teil stark, aber auch einige belanglos vom Songwriting. Dies fällt bei dem abwechselnden Spiel alter Hits und neuer Songs schon auf.
Highlights: „Gamma Ray“, „Trial Trip“

Auf den harten Krautrock folgt mit Guru Guru eine Band mit Free Jazz Elementen, kaum Gesang und sehr groovigen Stücken. Vorweg gesagt: der Gründer und Drummer Mani Neumeier ist 81 Jahre alt! Einundachtzig! So viel zur Eröffnungsfrage. Die Antwort wird im Text ihres größten Hits „Elektrolurch“ erklärt, aber für den heutigen Abend ist diese wohl: „Wir werden immer noch spielen, heute spielen wir in Paderborn und das verdammt gut“. Von Neumeiers Alter merkt man nicht viel; er rennt zum Teil über die Bühne und klopft satten Sound auf seinen Fellen. Der Multiinstrumentalist Roland Schaeffer, der schon in den 70ern bei Guru Guru war, begeistert das Publikum mit Gitarre, Saxophon, indischer „Tröte“, Klangschellen und Sounds. Zudem noch Peter Kühmstedt am Bass, auch Ende 70 schon aktiv, und das ehemalige Birth Control-Mitglied Zeus B. Held an den Keys. Das Set ist anders als bei BC nicht so extrem aufgeteilt in 70s, neu, 70s. Man bekommt einen Eindruck der kompletten Bandgeschichte mit vielen Songs auch von den 90er und 2000er Alben. Es gibt keine Varianz in der Qualität. Natürlich freut sich auch hier die Halle über einige Songs mehr als über andere. Insbesondere die Variabilität macht den Auftritt so stark. Jedes Bandmitglied kriegt seinen Auftritt und Platz zu zeigen, was er drauf hat. Roland nimmt einen mit auf die Reise nach Indien mit dem Stück „Izmiz“ und dreht regelrecht ab. Mani hat zwei besondere Auftritte. Bei „Living in the Woods“ nimmt er eine Stand-Tom mit nach vorne an den Mikrophonständer und kreiert als vortrommelnder Drumming Man eine Art hypnotische Stammesmusik. Ich glaub, ich steh im Wald. Und als Höhepunkt in der Mitte des Auftritts gibt er den, in der Lüsterklemme neben dem Hauptverteiler lebenden Stromversorger – den legendären „Elektrolurch“, dem Namensgeber des größten Hits von Guru Guru. Fast 50 Jahre nach der Veröffentlichung dieses Songs sich immer noch zu verkleiden und den Lurch inklusive kleinem Soundemulator/Synthesizer zu bringen, kommt super an. Die restliche Zeit groovt die Menge mit, hier wird es ekstatisch. Man sieht ein grinsendes, zufriedenes Publikum. Eine sehr unterhaltsame, geniale Stunde Musik mit besonders gutem Sound.
Highlights: „Elektrolurch“, „Living in the Woods“, „Izmiz“

Nach einer etwas längeren Umbauphase kam mit dem dritten Act des Abends die einzige Band auf die Bühne, die in der Originalbesetzung auftrat. Mit dem Jazzrock von Kraan hätten wir auch das dritte Genre. Das Trio aus den Brüdern Peter Wolbrandt an der Gitarre, Jan Fride Wolbrandt am Schlagzeug und Hellmut Hattler am Bass wird durch einen jungen Keyboarder bei einigen Songs ergänzt. Kraan ist zudem die einzige Band des Abends, die Bilder auf eine Leinwand projizieren. So beispielsweise auch das Matterhorn. Die Band hat selbst Jahre lang in Wintrup in der Nähe des Veranstaltungsorts gelebt und musiziert, wodurch dieser Auftritt sichtlich etwas Besonderes für sie war. Die Ansprachen zwischen den Songs wirken sehr emotional und ehrlich. Hellmut Hattler ist total begeistert von dem Event, aber nicht nur er. Bei Kraans Auftritt ist das Publikum zum Teil völlig fanatisch und rockt die Halle. Die Songs sind sehr mitreißend und virtuos gespielt. Peter Wolbrandt lässt seine Stratocaster glühen. Sein Bruder gibt richtig Gas an der Schießbude und Hellmut Hattler legt mit seinem Bass einen Lauf nach dem anderen hin. Insbesondere bei dem Stück „Borgward“ flippen alle aus – Band und Publikum. Auch der Song „Pick Peat“ vom neuen Album Sandglass fällt nicht ab vom Sound. Bei Kraan muss man einfach mitfühlen und mitgehen. Die Melodien sind eingängig und verleiten direkt zum Tanzen, Schaukeln, bei einigen auch zum Mitgrölen. Wie gesagt, es ist für jeden etwas dabei. Leider war der Sound dadurch, dass sie die lauteste Band des Abends waren, streckenweise etwas dumpf. Trotzdem ein mitreißender Auftritt
Highlights: „Borgward“, „Andy Nogger“, „Pick Peat“

Es geht weiter mit den Dortmunder Hardrockern um die Gründungsmitglieder Bernd Kolbe und Cliff Jackson. Die Rede ist von Epitaph. Ich selber habe die Band so richtig erst durch die Veranstaltung kennengelernt. Nach ihrem Motto „Stop, look and listen“, dem Titel ihres zweiten Albums genug von mir und mehr von Epitaph. Sie sind die erste Band, die auf Tasten verzichten. Aber die braucht’s auch nicht wirklich. Trockene Riffs und satter Sound sind hier die Devise. Auch Epitaph ist gut gelaunt beim Spielen und zeigen, was sie drauf haben. Bernd und Cliff ergänzen sich schön bei den Songs. Die Vocals in Kombination mit den Riffs kommen sehr gut. Carsten Steinkämper verprügelt die Drums und Heinz Glass beherrscht seine Lead Gitarre und spielt bei „Woman“ Slide, wodurch es noch einen bluesigen Touch bekommt. Sehr cooler Sound. Ich beginne langsam, mich zu wiederholen. Starke Musik, Spaß auf der Bühne und gute Stimmung im Publikum. Wenn doch nur jedes Festival so wäre! Hier geht richtig die sprichwörtliche Luzi ab. Gerade das klassische Album Outside the Law von 1974, dessen Covermotiv auch das ein oder andere Shirt der Konzertgänger ziert, wird natürlich gespielt und gefeiert. Jedoch finden auch neuere Songs Zuwendung, sodass ein angenehmer Mix entsteht.
Highlights: „Woman“, „Windy City“
Auf Grund meiner schlechten Zugverbindung konnte ich mir leider Jane als Headliner nicht mehr anschauen und anhören. Um kurz vor Mitternacht kommt man aus Paderborn leider nicht mehr weg, wenn man auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist. Sehr ärgerlich, besonders nach der bisher gebotenen Qualität.
Das Besondere an diesem Festival ist, dass man fünf Krautrock-Legenden an einem Abend geboten bekommt, die alle für ein anderes Genre stehen. Dadurch ist nicht nur für jeden etwas dabei, sondern man hat eine schöne Abwechslung. Die Krautrock-Helden der 70s wirken sehr nah und hervorragend aufgelegt. Diese Stimmung überträgt sich auf die Masse und man hebelt sich gegenseitig hoch. Ein rundherum gelungenes Festival. Ich hoffe, dass es nicht bei dem einen Mal bleibt. Klare Empfehlung meinerseits und hoffentlich bis nächstes Jahr.
























































Hallo auch aus Berlin in die Weltstadt Paderborn,
das Krautrockfestival ist vorbei, leider, aber ICH WAR DABEI!!! Immer noch schwebe ich selig über meiner Großstadt, immer noch von den Socken von dem genialen Konzert in der Paderhalle. 5 Bands dieser Liga an einem Abend – immer noch unglaublich! Für meinen persönlichen Top-Act Birth Control kam ich 2 Minuten zu spät, trotz elternfreundlicher Startzeit. Ursprünglich wollte ich bereits im Februar 2022 zu einem Birth Control-Konzert von Berlin nach Köln fahren. Es war mir etwas dazwischen gekommen, auch beim Auftritt in Kassel. Die Tour hätte schon allein dafür gelohnt. GuruGuru waren immer klasse, so auch in Paderborn. Kraan hatte ich zuletzt im Berliner Tränenpalast 2003 gehört, davor 1983 in einer Mehrzweckhalle in Franken. Epitaph war mir tatsächlich unbekannt. Das hat sich gründlich geändert. Selbstverständlich blieb ich bis zum Schluss, bis zum Ende meines 5. Top-Acts. Auch meine Ehefrau heißt JANE, ich liebe JANE! Um halb drei wankte ich zu meiner Unterkunft. Genauer gesagt, ich schwebte 30 Meter über Grund. DANKE! Und das zu einem zivilen Preis.
Mir geht es einfach nur gut. Davon zehre ich für die gesamten Wintermonate! Sollten für das kommende Jahr eine Neuauflage geplant sein, bin ich auf jeden Fall wieder dabei. Sollte dann noch Eloy die Runde bereichern, reichen die Schwebstoffe für den Rest des Lebens. DANKE! DANKE! DANKE!
Jrüße vom Berliner Ostkreuz
Henson
Sowas Tolles, das hätte ich gerne „erlebt“… Aber Südfrankreich war nun doch etwas zu weit weg.
Schade, dass mein alter Freund Helmut Krieg das nur vom Himmel aus sehen kann. Vielleicht wäre er ansonsten mit SPERRMÜLL auch aufgetreten… oder mit ’ner anderen Band.. 😉
Kann man da etwas von sehen auf YT ? Ich wünsche jedenfalls den „alten Hasen“ (sind wir ja nun mal) weiterhin noch viel Spass, Erfolg und Gesundheit !!! Sonnige Grüsse aus Antibes , Gitte !
https://paca006.de.tl/