Buch: Felicitas Fuchs – Minna. Kopf hoch, Schultern zurück


Düsseldorf 1924. Minna ist Schneiderin und sucht ihren Platz im Leben, verliebt sich, heiratet und wird immer wieder mit dem Schicksal konfrontiert. Ihr Ehemann betrügt sie, ihre kleine Schwester begeht Selbstmord. Sie will ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, sich etwas leisten können und arbeitet dafür hart. Doch die Krise raubt ihr alles, ihre kleine Schneiderei, ihr Erspartes. Sie zieht um, heiratet erneut, der Krieg beginnt, doch Minna lässt sich nicht unterkriegen.

Minna. Eine lebenslustige Frau, die in den 1920ern versucht, Karriere zu machen und alles ist, aber nicht die brave Hausfrau, die man damals erwartete. Natürlich weiß sie sich zu benehmen und ihr erster Ehemann kommt auch aus besserem Hause und liebt an seiner Frau dieses Spiel zwischen Tradition und Freiheit. Doch er kommt nicht mit dem Erfolg der Frau an seiner Seite klar, betrügt sie, die Scheidung kommt, als das Geld über Nacht weg ist. Der Börsencrash hat ihm alles genommen und Minna, die es ihrem Mann überlassen hat, ihr hart verdientes Vermögen anzulegen und zu verwalten, hat nichts mehr. Anhand der jungen Frau erlebt man Deutschland vor einhundert Jahren, die Geschichte, die Irrungen und Wirrungen, Aufbruch und Niederlage, den Krieg und seine unerbittlichen Schrecken. Protagonistin Minna ist dabei ein Symbolbild für die Menschen der damaligen Zeit. Kopf hoch, Schultern zurück. Man lässt sich nicht hängen, man weint, man zweifelt, aber man steht immer wieder auf. Jeder Rückschlag wird hingenommen und überwunden, er hinterlässt Spuren, Narben, aber es geht immer weiter.

Felicitas Fuchs beschreibt einen Teil ihrer Familiengeschichte und wankt mutig zwischen Biografie und Fiktion. Manche Figuren sind frei erfunden, manche Begebenheiten entsprechen nicht der eigentlichen Wahrheit der Ahnin, sind aber dennoch Zeitzeugnis und spiegeln wider, was sich damals so oft an so vielen Orten zugetragen hat. Die Machtübernahme der Nazis, die wachsende Angst, die immer mehr werdenden Verbote, die Deportationen. Mit viel Liebe zum Detail skizziert Fuchs das Leben ihrer Protagonistin und lässt sie dabei manchmal ein bisschen zu arrogant, zu perfekt, zu unschuldig dastehen. Großer Kritikpunkt an dem Auftakt zur Trilogie ist die Darstellung der Frauen und vor allem der Männer. Männer können nur unterdrücken und alles falsch machen, halten Frauen prinzipiell klein und betrügen sie. Alle. Es gibt keinen, der sich korrekt verhält, der treu ist, der irgendwas richtig macht. Ja, es war eine andere Zeit, es gab andere Regeln, Gesetze, Konventionen, aber nein, es wurde nicht jede Frau – und schon gar nicht Minna – wie Dreck behandelt. Es fehlt hierbei ein bisschen die Reflexion, wie gut es Minna eigentlich hatte. Schicksalsschläge hat jeder damals wie heute zu verkraften, aber im Großen und Ganzen hat Minna mit ihrer überheblichen Art und ihrem irren Drang im Mittelpunkt zu stehen ziemliches Glück gehabt. Stellenweise ist ihre Selbstliebe, ihr Egoismus und ihre Selbstinszenierung zu viel. Da möchte man das Buch aus der Hand legen und nie wieder anrühren. Irgendwann sagt man sich: Aber sie ist doch selber schuld, dass ihre Männer sie betrügen. Sie verlangt, aber sie gibt nicht, sie will verstanden werden, aber zeigt kein Verständnis. Wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzt, wird er negativ dargestellt. Das hat nichts mehr mit Durchsetzungsvermögen zu tun, sondern ist einfach charakterlos. Das schmälert den Kampfgeist von Minna, das Durchbeißen und Trotzen – und das ist sehr schade.

Am Ende lohnt es sich, nicht abzubrechen, sondern der Geschichte, so unsympathisch man die Protagonistin zuweilen auf finden mag, eine Chance zu geben. Felicitas Fuchs hat mit Minna ein spannendes Zeitzeugnis geschaffen, das sich vor allem auf die Rolle der Frau vor einhundert Jahren und den Wandel, die Emanzipation konzentriert. Lesenswert, aber einen Punkt Abzug gibt es dennoch für die unsympathische Protagonistin.

Sympathischer wirkt da die Sprecherin des Hörbuchs, Irina Scholz. Sie selbst ist vielleicht weniger bekannt, ihre Stimme dafür umso mehr. Bekannt aus Film, Fernsehen, Hörfunk, hat sie zahlreiche Hörbücher eingelesen und ist die Stimme verschiedener Sprachapplikationen und Telefonsysteme. Eine unterschwellige Rauheit in der Stimme, hat sie eine spezielle Art der Betonung, die in gewissen Szenen besonderen Nachdruck verleiht und damit das Hörbuch und die Figuren lebendig werden lässt. Man verliert das Gefühl, ein Buch vorgelesen zu bekommen, sondern hört die Dialoge, als würden sie tatsächlich geführt werden.

4/5

Felicitas Fuchs – Minna. Kopf hoch, Schultern zurück. Mütter-Trilogie 1
Heyne Verlag, 2022
608 Seiten
Taschenbuch: € 15,00

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