Live: Vortrag Dr. Mark Benecke – Bürgersaal Fürstenried – 14.11.2022


„Ich denke nicht, ich messe.“

Dr. Mark Benecke

Diesen Satz von einem Kriminalbiologen zu hören, ist erstmal sehr verwunderlich. Aber was wundert eigentlich noch, wenn es um Dr. Mark Benecke geht? Der sympathische und etwas eigenwillige Spezialist für forensische Entomologie mit seinen Tattoos, Piercings, der offenen und direkten Art, der auch gerne mal auf dem WGT anzutreffen ist, hat eine breitaufgestellte Fangemeinde. Darunter sind natürlich diejenigen, die ihn wegen seines Äußeren mögen, wegen des Musikgeschmacks, weil er zu einer Szene gehört, die von vielen totgeredet wird. Andere mögen ihn als Wissenschaftler, der um die Welt reist, Labore aufbaut, skurrile Fälle bearbeitet und vor nichts zurückschreckt. Ja, und dann wird er auch sehr geschätzt von denjenigen, die ihn beauftragen, die sich gezielt an Benecke wenden, weil sie wissen, dass er eben gerade nicht denkt, sondern misst und genauer hinsieht und auch mal vom Lehrweg abweicht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sein Vortrag ausverkauft ist. München freut sich und das Publikum ist auch etwas spezieller, denn ausgerichtet hat die Veranstaltung unter anderem der Bund Deutscher Kriminalbeamter – also ein entsprechendes Publikum. Spricht man da anders, hochgestochener, wissenschaftlicher? Nein, auch in diesem Umfeld bleibt sich Benecke treu, scherzt, macht Fotos, signiert Bücher, beantwortet Fragen, die gestellt werden. Darunter zum Beispiel, woher Ines Fischer ihr Kleid hat und wie lange es dauert, bis geliebte Haustiere, in diesem Fall Ratten, zu Hause auf dem Balkon im Blumentopf verwest sind. Diese Frage bringt ihn dann auch gleich zu einem Fall, nämlich den der Kinderleichen, die man vor einigen Jahren in Blumentöpfen auf einem Balkon gefunden hat bzw. nur noch wenige Überreste, denn die Kinderleichen wurden über Jahre auf diese Weise unbemerkt beseitigt.

Zu Beginn allerdings lässt der Vortragende aus vier Themen wählen – und für was soll man sich entscheiden, wenn da eine Alien-Sektion auf dem Programm steht, bei der es nur ein Video gab und das auch nicht in bester Qualität? Aber man würde mal hören, wie man trotzdem erkennen kann, dass es sich um eine Fälschung handelt. Bei Hitlers Schädel handelte es sich wider Erwarten um das Original, identifiziert von Mark Benecke, der zu Beginn auch nicht mit dieser Enthüllung gerechnet hatte. Christliche Bilder sind gerne blutig, grausam, stellen Verstümmelung, Folter, Kreuzigung und mehr da. War das wirklich so und was passiert da eigentlich mit dem Körper? Ein spannendes Thema, das aber auch dem Sieger des Abends weichen musste: Maden auf Leichen. Die große Mehrheit hatte sich am Ende dafür entschieden und wurde nicht enttäuscht. Mit zahlreichen Fotos untermalt, schilderte Benecke eindrücklich, dass man vieles sehen kann, vieles aber auch gar nicht beachtet, wenn man beispielweise in eine Wohnung kommt, in der seit Wochen eine Leiche vor sich hin verwest. Man kann denken, dass bei einem Alleinlebenden mit Suchthintergrund alles klar ist. Fotos gemacht, Bericht diktiert, abtransportiert. Aber ist das wirklich so einfach? Wenn man die Maden anschaut und sie abmisst, kann man einige andere Aussagen treffen. Wie lange leben und ernähren sich diese Maden schon von der Leiche? Wo sind welche zu finden, denn nicht alles ist für jede Made essbar und von jedem Exemplar auch geliebt. Und die vernachlässigte Mutter? Stimmt es, was der Sohn sagt, liebte sie die Ecke auf dem Sofa so sehr, dass sie dort sogar geschlafen hat, natürlich beim Fernsehen, oder wurde sie einfach vergessen, verdurstete, verhungerte? Wie eklig oder giftig sind so Leichen eigentlich? Hier wird auch mit Vorurteilen aufgeräumt. Für manche der Anwesenden wird es heftig, als die Leiche eines Kindes gezeigt wird. Benecke warnt vor, für manche ist das ein Anblick, den sie selbst kennen aus ihrem Beruf, was sie nicht unberührt lässt, aber auch nicht den Blick abwenden.

Diese Bilder und alles, was Benecke erzählt, sind anders als die Krimis aus dem Fernsehen oder die Thriller aus der Buchhandlung. Sie sind real und für viele an diesem Abend ein Stück des Alltags. Am Ende weiß man, dass es oftmals besser ist, zu messen als zu denken, weil es immer wieder Überraschungen gibt, mit denen man eben nicht gerechnet hat, die aber durch die Fakten belegt werden. Zudem hat man auch erkannt, dass jeder Tod gleichzeitig Leben bedeutet. Für andere.

Leider ging der Abend viel zu schnell zu Ende, aber es wird nicht die letzte Veranstaltung von Dr. Mark Benecke gewesen sein. Wer die Möglichkeit hat, sollte unbedingt mal eine Lesung oder einen Vortrag von ihm besuchen – und viel Literatur gibt es ja auch. Artikel und tolle Einblicke in seine Arbeit sind auch auf seiner Website zu finden, so dass man einen viel zu kurzen Abend auch noch zu Hause unendlich ausdehnen kann.

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