Buch: Alexander Solschenizyn – Der Archipel Gulag. Band I


Es ist kaum vorstellbar, die Wirkung dieses Buches auf den Leser in Worte zu fassen.

Die Umgangsformen und Situationen, in denen sich die russische Bevölkerung vorfand, wirkt durch die Unmenschlichkeit surreal, sodass dieses Zeitzeugnis der Gefängnisse und Arbeitslager (Gulag) eher nach Fiktion klingt als nach Realität.

Solschenizyn der selber dem zu seiner Zeit üblichen Urteil von zehn Jahren Gefangenschaft und Verbannung ausgesetzt war, erzählt in dem ersten seiner drei Bänder vom Archipel Gulag sowohl von seinen eigenen Erfahrungen dieses dunklen Kapitel der russischen Geschichte, als auch von den Berichten anderer Gefangener und der Entwicklung dieses Elends.

Das Buch beginnt mit den willkürlich wirkenden, durch die Verfassung abgesegneten Verhaftungen und anschließenden grausamen Verhören. Das Ziel war die Akzeptanz der Urteile und die Verwirklichung der Nennzahlen an Gefangenen. Koste es was es wolle. Wirkliche Gerechtigkeit und Menschlichkeit sind hierbei nicht Teil des Plans. Es geht vielmehr darum, das Konstrukt des Kommunismus und die Macht der Partei aufrecht zu erhalten als um das Wohl der Bevölkerung. Dem zukünftigen Leser wird sich hierbei der Paragraph 58 StGB ins Gedächtnis brennen, der, wie so trefflich beschrieben, auch den heiligen Augustinus in den Gulag bringen könnte.

Solschenizyn zeigt im Folgenden die Entwicklung der Verfassung und den Umgang mit den Verbrechern und Verfolgten. Beginnend mit dem Zarenreich über Lenin bis zu Stalin. Hierbei wird eindrucksvoll gezeigt, warum die Maschinerie nicht aufzuhalten war und wie die Anzahl der zu Verfolgenden immer weiter wuchs.

Diese Zeitreise erklärt, was passierte und warum es passieren konnte. Verstehen kann es aber weder der Leser, noch der Autor, noch die Beteiligten.

Der Autor stellt den psychologischen Konflikt, der mit der Macht einhergeht, auch anhand seiner eigenen militärischen Karriere dar. Solschenizyn war vor seiner Verhaftung Offizier im Zweiten Weltkrieg. Diese Gedanken kamen ihm durch seine Zeit in der Gefangenschaft und der Handhabung der Verhörer, des Geheimdienstes, der Staatsanwälte usw.

Zum Abschluss werden die Transporte und Aufenthalte vom Gefängnis zum Zwischenlager zum Arbeitslager und zurück, falls überhaupt möglich, besprochen. Immer wieder kommt der Vergleich zu unterschiedlichen Zeiten und Lagern innerhalb Russlands.

Ein nüchterner und beeindruckender, wenn auch grausamer Bericht über Schicksale, mit denen man nicht tauschen will.

Der Archipel Gulag ist als ein hervorragendes Beispiel dafür zu sehen, wie nichtig Kleinigkeiten sind, über die man sich im Alltag aufregt. Freiheit und die Möglichkeit seinen Bedürfnissen nachgehen zu können, sind ein hohes Gut, die man nur anerkennt, wenn es nicht mehr da ist.

Das Buch ist ein Muss für jeden Psychologie- und Geschichtsinteressierten. Aber Vorsicht, der Terror überträgt sich auf den Leser und seine Stimmung.

5/5

Alexander Solschenizyn – Der Archipel Gulag 1
FISCHER Verlag, 2008 (EÖ: 1973)
592 Seiten
Taschenbuch: € 18,00

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